Gitarrenprojekte

Matthias Kläger

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Gitarrenkonzert mit Matthias Kläger
Bei Shakespeare wird es ernst

Kunstgemeinde-Premiere mit dem Gitarristen Matthias Kläger

Als Mitte der siebziger Jahre der aus Kuba stammende Wahlamerikaner Manuel Barrueco einem internationalen Publikum seine ersten Soloaufnahmen präsentierte, war das für die gesamte Gitarrenszene ein wohliger Schock: Derart elegante Virtuosität im Dienste geschmackvoller Interpretationen, gepaart mit dem notwendigen Mut zur waghalsigen und trotzdem authentischen Transkription (etwa von Albéniz‘ Klavierwerken), war fast schon revolutionär. Plötzlich hatte man den Beweis, daß mit Segovias Erben Julian Bream und John Williams der künstlerische Reifeprozess des von Komponisten lange Zeit stiefmütterlich behandelten Instruments noch lange nicht am Ende war.

Mit der Gitarre verhält es sich noch immer ein wenig wie mit der Leichtathletik: Die nachrückende Generation setzt ihre Maßstäbe für den technischen Standard dort an, wo andere den Gipfelpunkt des Möglichen vermuten. Der im badischen Rastatt geborene Matthias Kläger gehört zu jenen jungen Solisten, die das an intellektuellen Leckerbissen nicht eben reiche Repertoire von dieser Warte aus ins Visier nehmen. Ob er sich beim „Premiere“-Konzert der Kunstgemeinde romantischen Schubert-Petitessen in den Arrangements von Johann Kaspar Mertz zuwendet oder aus Mauro Giulianis fingerbrecherischer Salonmusik (Rossiniana Nr.1) die dünne kompositorische Substanz herausarbeitet – immer beeindrucken die selbstverständliche Geläufigkeit, sein runder Ton und die gestalterische Sicherheit.

Richtig ernst wurde es allerdings erst mit Hans Werner Henzes „Royal Winter Music II“ mit den Sätzen „Sir Andrew Aguecheek“, „Bottom’s dream“ und „Mad Lady Macbeth“: Was das rein Manuelle angeht, strotzt das Stück nur so von Gemeinheiten. Shakespeares Gestalten gewannen in Klägers Interpretation jedoch fast schon greifbare Konturen. Erst wer wie der in Freiburg und Paris ausgebildete Stupendiat des Deutschen Musikrats das reiche Reservoir an klangfarblichen Raffinessen so folgerichtig und nachvollziehbar verknüpfen kann, hat wohl das taktile Gespür und die musikalische Souveränität, um schlichte, von Miguel Llobet für Gitarre bearbeitete katalanische Volkslieder zu einem so großartigen Hör-Erlebnis zu machen wie Kläger im Mozart-Saal der Alten Oper. Das kleine Liebhaberpublikum war fasziniert.

Detlef Gollasch, Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.12.1993